Von der alten Kunst herkommend, nähere ich mich zögerlich der künstlerischen Gegenwart, manchmal in Schüben, oft genug unterbrochen von gereizten Rückzügen. Die Ankunft bleibt abzuwarten. In diesem persönlichen Prozess ist das Bild von Horst Noll ein wichtiger Wegbegleiter.
Ich habe es 2003 auf einer Ausstellung in Frankfurt entdeckt. Zu dem Zeitpunkt waren mir die Arbeiten von Horst seit Längerem vertraut, aber dieses Bild war insofern neu, weil es auf Holz gemalt ist – ein Stück Tafelmalerei. Eine Tafel, deren aufgetragener Farbe mit Verve zu Leibe gerückt wurde. Die Oberfläche wirkt so, als sei Einiges über sie hinweggegangen und kann – wenn es der Betrachter denn will – ein gewisses Alter suggerieren.
Der erste Impuls, das Bild näher in Augenschein zu nehmen, war allerdings dessen glühende Farbigkeit. Sofort gab es Assoziationen mit Gemälden der altniederländischen und altdeutschen Malerei. Bilderinnerungen stiegen auf. Zudem waren die durchlaufenden und am Rand „angeschnittenen“ Strukturen geradezu eine Aufforderung, das Bild nicht am Rand aufhören zu lassen.
Und so habe ich das Bild wie ein Fragment, wie einen Nukleus behandelt. Etwas, das sich in alle Richtungen weiterdenken lässt, um Alte Meister zu erinnern oder auch: Alte Meister in den Kopf zu holen, die es nie gegeben hat. Ein ganz wunderbares Vergnügen.
Das gilt bis heute, und doch hat sich etwas mit den Jahren geändert. Ob es an dem langen Zusammenleben liegt oder an der Beschäftigung mit neuer Malerei, ist schwer zu sagen. Das Bild hat jedenfalls ein eigenes Leben bekommen. Farbe als Thema, Schichtungen, die durch Eingriffe sichtbar werden, manchmal nur zu ahnen sind oder unsichtbar bleiben und farbige Räume bilden: ich kann das Bild jetzt auch nur für sich sehen.
Aber erst auf dem Weg über die vertraute alte Kunst konnte es für mich auch das autonome Bild werden, das es immer war.
Wolfgang Beckermann, Göttingen 2019