Immer aber gilt, jedenfalls nach meinem Dafürhalten, die Erkenntnis des bekannten Ästhetik-Professors Bazon Brock – selber Künstler, insbesondere Sprachkünstler: "Die materiellen und ausstellbaren Werke werden gewissermaßen zum (integren) Werkzeug; die eigentliche Kunst findet erst im Kopf des Betrachters statt."

Sie merken, eigentlich bin ich schon mitten drin in der Rezeption der Noll'schen Arbeiten, wenn auch noch auf einer theoretisch-grundsätzlichen Ebene.

Ihre besondere Aufmerksamkeit darf ich gleich auf die wunderbaren kleinformatigen Papierarbeiten in den Vitrinen hinter mir lenken. Mit ihnen hat Ende der Achtzigerjahre für Horst Noll vieles schon angefangen, was sich noch in den leuchtenden Aquarellen der letzten beiden Jahre wiederfindet.

Die zuweilen raue, grobporige "Farbhaut", die sich aus einzelnen Acrylfarbschichten aufbaut, wird gerade durch die konstruktiv wirkenden Negativformen – abgelöste Ein- oder Abklebungen mittels Klebestreifen – in ihrer stofflichen Materialität erlebbar: Es sind fast schon tektonisch-architektonisch zu benennende Einschübe und Gefüge – ich habe sie einmal als "optische Anker" bezeichnet –, die quasi das Nahe mit dem Fernen verbinden Farbraumfelder und -schichten entschlüsseln und somit das nach und nach Gewachsene des Bildes verdeutlichen. – Dass damit zugleich auch oft das traditionelle Geviert des Bildträgers regelrecht gesprengt wird (... Papiere reißen während des spontanen Arbeitsprozesses nun mal ein oder ab, so dass das Format gleichsam "offen" bleibt), ist nicht zuletzt dem fragmentarischen Charakter dieser frühen Arbeiten geschuldet, der ihren ganz eigenen Reiz ausmacht.

Ich möchte meine Rede über Malerei im Allgemeinen und die von Horst Noll im Besonderen abschließen mit einem Zitat des französischen Dichters Jean Tardieu ("Mein imaginäres Museum), das schlussendlich noch einmal die Diskrepanz zwischen begrifflicher Sprache einerseits und malerischer Sprache andererseits auf den Punkt bringt.

Ich zitiere: "Ich als Maler würde einen unnützen Inhalt – ob man ihn Objekt oder Subjekt oder Darstellung (...) nennt – unterdrücken. Ich würde Worte in einer Schrift schreiben, die nur mir allein bekannt ist. Ich würde 'Briefe' schreiben, wem ich will. Ich würde allen Dingen schreiben, lebenden und unbeseelten Wesen, Menschen wie Tieren, Sternen wie Flüssen - die Buchstaben der Leidenschaft, in einer unbekannten Sprache." (…)