Zeichnungen ab 2013
Nicht nur bei seinen aktuellen Gemälden, sondern auch bei den neuesten autonomen Zeichnungen von Horst Noll bestimmt das Prinzip der Serie den Ausdruck dieser zumeist kleinformatigen Arbeiten: Sowohl im künstlerischen Akt als auch in der Rezeption schließt das Primat des Visuellen und der physischen Präsenz die Einzelwerke zu einem Werkverbund zusammen, welcher sich einer narrativen Struktur ebenso enthält wie einer Beschreibbarkeit im Sinne eines Vergleichs mit der Realität. Auch wenn seit 2013 im Bildraum der einzelnen Papierarbeiten im Skizzenblockformat (15 x 10,5 cm) immer wieder Architekturelemente und -fragmente aufzutauchen scheinen, so geben diese sich doch, oft schon auf den ersten Blick, als Illusion zu erkennen. Als gewissermaßen unvollendete, (un-)perspektivische Räume und imaginäre „Architektur-Torsi“ bieten sie jedoch der nach wie vor äußerst malerischen Faktur einen graphischen Widerpart und dem Auge des Betrachters einen – trügerischen – Halt. In konstruktiver Strenge lassen Graphit-, Kreide- und Tuschelinien Gebäude-„Attrappen“ entstehen, leere, ineinander verschachtelte Kuben und Zylinder, die nicht in der Logik perspektivischer und gegenständlicher Lesbarkeit aufgehen. Der spontane Eindruck dieser skurrilen, offenbar von Geistern bewohnten Silos schwankt zwischen gemütlichem Landhaus-Idyll und blankem Bunker-Horror. Geheimnisvoll öffnen sich Fenster und Jalousien, Tücher und Segel blähen sich im Wind; Markisen sind in die Höhe geklappt, lassen die kahlen, dunklen Tür- und Fensterlaibungen noch düsterer erscheinen – schaffen zugleich aber nötige Bewegung und Kontraste in der Diagonalen. Denn Horst Noll geht es stets weniger ums „Schöner Wohnen“ oder um eine Sichtbarmachung der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Mitscherlich), sondern vorrangig um die spontane Organisation des bildnerischen Darstellungszusammenhangs. Insofern ist seine bekannt intuitive, impulsive und rasche Arbeitsweise auch hier gefordert.
Zumal es keinerlei fotographische Vorlagen gibt: Der Zeichner ist ganz auf sein visuelles Gedächtnis und seine Fantasie, die Bildfläche planvoll zu gliedern, angewiesen. „Inhaltlich bleiben die Bildelemente also Fragmente, formal aber treten sie in ein neues Spannungsverhältnis ein“ (Oliver Kornhoff). – Insbesondere in das der reinen Malerei. Denn so sehr sich die subtilen Miniaturen in bewährter kubistischer Manier auch als Grisaillen präsentieren – auf den zweiten Blick geben sie sich durchaus sehr farbig. Die konzentrierte Kraft verwischter, übereinandergelegter und lasierter Farbschichten schimmert lichtvoll durch den Bildgrund, stellenweise tilgen oder überlagern expressive Farbtexturen die Spur des konstruktiven Zeichenstrichs. – Was Malerei eigentlich ausmacht, das demonstriert Horst Noll auch in seinen Papierarbeiten und Zeichnungen anschaulich. Insofern lässt der mittlerweile fast 100 Exponate umfassende Zyklus die wahre Bedeutung einer Sentenz von Christian Dotremont und Asger Jorn erahnen: „Es gibt mehr Dinge in der Welt eines Bildes als im Himmel der ästhetischen Theorie.
Gunther Sehring, 2016
Mischtechnik auf Papier
15 x 10,5 cm
2016