Horst Noll ist, nach meiner kritischen Einschätzung, ein Vertreter der Farbfeldmalerei. AIs einen einheitlichen Stil lässt sich das Phänomen Farbfeldmalerei kaum auffassen; es gab und gibt vielfältige Beziehungen zum Informel und zur konkreten Kunst.
Angesichts der Unzahl von Künstlernamen und der Vielfalt dieser Malerei, „die mit Begriffen wie monochrome Malerei, Hard-Edge, Colour Field, Radikale oder essentielle Malerei beschrieben wurde, ist es für einen Künstler zu Beginn des 21. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich, eine eigenständige Position zu entwickeln, die sich nennenswert von den bereits vorhandenen Ausdrucksformen unterscheidet“ (R. Hirner).
Auch Horst Noll hat sich seine Unverwechselbarkeit lange „ermalen“ müssen. Dass ihm das weitgehend gelungen ist - Mut und Ausdauer gehören eben dazu - bezeugen seine Bilder. Jenseits aller kunsthistorischen Schubladen möchte ich im Folgenden, zum besseren Verständnis, versuchen, einige rezeptionsästhetische Bedingungen aufzuzeigen sowie Überlegungen zum Wesen der Farbe als Objekt und Subjekt dieser Malerei anzustellen. Diese Art von Malerei sucht ihren Ausdruck meist nicht im expressiven Überschwang oder nur in kruder Materialschwelgerei. Nolls Bilder sind Werke, die sich selbst genügen; sie tragen keine Titel. Inhalt der Malerei ist die Malerei selbst: Form (Binnen- wie Konturform) und Farbe sind identisch.
Zusammen mit seinem Träger, entweder der Leinwand oder der Holztafel, erhält das Bild daher starken autonomen Objektcharakter; Abbilder oder Konstruktionen sind ausgeschlossen.Die Position des Betrachters ist jedoch zunächst eine passive: Man darf sich der Totalität des Bildes ausliefern. Gewünscht ist letztlich immer auch eine Rezeptionsverzögerung, nach dem Motto: „Wenn man nichts sieht, schaut man länger hin.“Horst Nolls Gemälde wirken, bei aller Potenz der Farbe, in sich relativ still, geschlossen, jedenfalls nie optisch besonders laut oder aufdringlich. Eher vermitteln sie den Eindruck einer äußerst „lebendigen Ruhe“. Johannes Itten, der Maler und Theoretiker, konstatierte einst über die Farbe: „Ihr innerstes Wesen bleibt unserem Verstand verborgen und kann nur intuitiv erfasst werden.“
Geradezu paradigmatisch kann ein Ausspruch des Malers Gotthard Graubner auch auf Nolls Bilder bezogen werden: „Die Farbe entfaltet sich (hier) als Farborganismus; (der Maler beobachtet) ihr Eigenleben (und respektiert) ihre Eigengesetzlichkeit.“
Somit ist der Künstler allein der Initiator der Farbe, die sich gewissermaßen - als Subjekt - selbstverwirklicht. Aus dem Dialog zwischen Maler und Farbe heraus erlangt das Bild Identität und Authentizität. Dieses dialektische Verhältnis (zwischen Maler und Farbe) manifestiert sich in einem mehrdimensionalen Farbraum, der durch Farbvibration und -fluktuation oft gleichsam zu „atmen“ scheint. Durch den sukzessiven, lasierenden Auftrag mehrerer Schichten reiner Ölfarbe und durch anschließende mechanische Bearbeitung gewinnt das Gemälde seinen Reichtum an koloristischen Modulationen, Valeurs und Nuancen. Dabei beeinflussen schon geringfügige Unregelmäßigkeiten der einzelnen, transparenten Farbschichten die weitere Gestaltung.
Horst Noll sagt, er habe noch nie einfarbige Bilder gemalt. Das stimmt natürlich, was die Gestaltung der Werke anlangt, sofern die Kompositionsprinzipien gemeint sind. Der Betrachter freilich nimmt zuerst eine latente Monochromie wahr, sieht also einen Grundfarbton, auf den das jeweilige Bild abgestimmt zu sein scheint; erst auf den zweiten Blick erkennt er die simultane Wirkung der zahlreichen, verschiedenfarbigen Malschichten.
Hat man sich die Komplexität eines jeden Bildes erst einmal vergegenwärtigt, wird einem klar, was den Maler wirklich antreibt, was er sucht und zu finden hofft: eine polychrome Synthese.
Horst Nolls Malerei ist der - stets neu unternommene - Versuch einer endgültigen Definition von Farbe als Objekt wie auch Subjekt des Künstlers. Das Resultat sind Bilder von geradezu poetischer Ausdruckskraft, an der sich sowohl ästhetische Genussfreude als auch Intellektualität entzünden können. „ ... Angesichts der heutigen, von (sehr vielen) Reizauslösern betriebenen visuellen Umweltverschmutzung“ (M. Bleyl) erhält sich diese Malerei eine humane Dimension."
Gunther Sehring, 2012
Öl auf Holz
15 x 40 cm
2002