Geradezu paradigmatisch kann ein Ausspruch des Malers Gotthard Graubner auch auf Nolls Bilder bezogen werden: „Die Farbe entfaltet sich (hier) als Farborganismus; (der Maler beobachtet) ihr Eigenleben (und respektiert) ihre Eigengesetzlichkeit.“

Somit ist der Künstler allein der Initiator der Farbe, die sich gewissermaßen - als Subjekt - selbstverwirklicht. Aus dem Dialog zwischen Maler und Farbe heraus erlangt das Bild Identität und Authentizität. Dieses dialektische Verhältnis (zwischen Maler und Farbe) manifestiert sich in einem mehrdimensionalen Farbraum, der durch Farbvibration und -fluktuation oft gleichsam zu „atmen“ scheint. Durch den sukzessiven, lasierenden Auftrag mehrerer Schichten reiner Ölfarbe und durch anschließende mechanische Bearbeitung gewinnt das Gemälde seinen Reichtum an koloristischen Modulationen, Valeurs und Nuancen. Dabei beeinflussen schon geringfügige Unregelmäßigkeiten der einzelnen, transparenten Farbschichten die weitere Gestaltung.

Horst Noll sagt, er habe noch nie einfarbige Bilder gemalt. Das stimmt natürlich, was die Gestaltung der Werke anlangt, sofern die Kompositionsprinzipien gemeint sind. Der Betrachter freilich nimmt zuerst eine latente Monochromie wahr, sieht also einen Grundfarbton, auf den das jeweilige Bild abgestimmt zu sein scheint; erst auf den zweiten Blick erkennt er die simultane Wirkung der zahlreichen, verschiedenfarbigen Malschichten.

Hat man sich die Komplexität eines jeden Bildes erst einmal vergegenwärtigt, wird einem klar, was den Maler wirklich antreibt, was er sucht und zu finden hofft: eine polychrome Synthese.

Horst Nolls Malerei ist der - stets neu unternommene - Versuch einer endgültigen Definition von Farbe als Objekt wie auch Subjekt des Künstlers. Das Resultat sind Bilder von geradezu poetischer Ausdruckskraft, an der sich sowohl ästhetische Genussfreude als auch Intellektualität entzünden können. „ ... Angesichts der heutigen, von (sehr vielen) Reizauslösern betriebenen visuellen Umweltverschmutzung“ (M. Bleyl) erhält sich diese Malerei eine humane Dimension."

Gunther Sehring, 2012

     Öl auf Holz
     15 x 40 cm
     2002