... so ist das Thema von Horst Noll die Farbe in ihrem Eigenwert, Eigenleben - oder die Bedeutung der Malerei als solcher.
Durch das Übereinandermalen verschiedener lasiert aufgetragener Farbschichten auf Packpapier als stabilisierendem Bildträger entstehen zu-
nächst als Totalität erfahrbare, einheitliche monochrom gestimmte Farbfelder. Gestisch-expressive hand-schriftliche Züge werden zu Gunsten einer anonymen, d.h. aus sich heraus wirkenden Farbmaterialität vermieden. Farbe wird als amorphe Stofflichkeit, in eben ihrer Materialität erlebbar. Dieses Erleben der Farbe als Materialität, als Stofflichkeit wird erreicht einmal durch den Farbauftrag, die Acrylfarbe, die das Papier wie Kunststoff oder wie Haut erscheinen läßt.
Zum anderen wird die Materialität, die Stofflichkeit, die fast dinghaften, objektiven Charakter bekommt, betont durch die unregelmäßig gerissenen Ränder und das Weglassen des distanzierenden Rahmens. Aus dem prozeßhaften Zusammenwirken der Farbe und dem Material ergeben sich differenzierte Strukturen körnig und glatt, transparent und dicht. Malerei wird, in dem sie ihrem Eigenverhalten überlassen wird, zu einem prozeßhaften Ereignis, das Assoziationen zu ähnlichen prozeßhaften Vorgängen in der Natur herstellt. Ein weiteres Moment ist die Farbräumlichkeit. Einmal schimmern durch die lasiert aufgetragenen Farbschichten die darunterliegenden Farben durch und erzeugen so leise farbräumliche Bewegungen auf der Bildoberfläche. Zum anderen wird das Bild als Farbraum konkret sichtbar gemacht durch vereinzelte Eingriffe auf der Oberfläche. Hier lassen abgezogene Klebestreifen das System der Farbschichten zu Tage treten. Ein irritierendes Verhältnis zwischen Nah- und Fernsicht, Oben und Unten entsteht durch den Kontrast der hervortretenden leuchtenden Farbstreifen zu der verhaltenen, zurückgenommenen Oberfläche, die ja die räumlich und zeitlich nächste und letzte Schicht ist.
Die Störbereiche, Eingriffe in die Intaktheit der Bildoberfläche aktivieren einerseits fast verletzend - negativ die verhaltene Ruhe der Oberfläche, zum anderen fungieren sie auch als konstruktiv organisierendes Element, also positiv, innerhalb der amorphen Stofflichkeit der Farbe. Die meditative passive Grundgestimmtheit der Bilder von H. Noll weist sich damit als ein aus aktivem Tun entstandes Ergebnis aus ...
Eva Maria Schöning, Auszug aus dem Einführungsvortrag zur Ausstellung „Horst Noll, Peter Markert, Thomas Roth“, Galerie Haus Herbede, Witten, 1989
Acryl auf Papier
ca. 37,5 x 24 cm
1989