MM: In Deinen Papierarbeiten thematisieren sich Farbe, Schichtung von Farbe, der Bildträger und die Bildoberfläche. Wie entstehen diese
Arbeiten?
HN: Es sind, wie Du sagst, Farbschichten, unzählige Farbschichten, ich denke zwischen zwanzig und fünfzig pro Arbeit. Die werden lasiert aufgetragen, so daß die darunter liegenden Farbschichten immer durchscheinen. Dadurch entsteht dann, mir fällt kein anderes Wort ein, ein Farbraum, eine Art Farbraum. Es gibt in den Bildern Bruchstellen, die die Schichtung der Farbe plausibel machen, man kann ablesen, wie die Schichtung aufgebaut ist, oder auch nicht. Teilweise wirken diese Bruchstellen auch verwirrend.
MM: Und Trägermaterial für die Farbe ist Papier?
HN: Packpapier durch Kunstharzbinder verstärkt, um den Bildträger zu stabilisieren. Durch den Farbauftrag, durch die Acrylfarbe, Öl wäre wahrscheinliech nicht möglich, das würde den Entstehungsprozeß wohl enorm verlängern, scheint das Papier wie Kunststoff, die Malerei läßt den Bildträger zum Objekt werden, scheinbar. Durch die Hängung, die Papierarbeiten hängen zwei bis drei cm vor der Wand, wird aber klar, daß der Bildträger irrelevant ist, das „Objekt“ wird reine Malerei. Die Präsentation ohne Rahmen ist neutral und der Blick ist frei, sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich habe diese Art der Präsentation mit Karin (Jedermann Harth) gemeinsam entwickelt. Ursprünglich waren die Arbeiten plattgedrückt in Rahmen und die Dichte des Farbauf-trags und des Farbaufbaus waren nicht zu erfahren.
MM: Aber es gibt auch Arbeiten auf Leinwand?
HN: Die sich vom Arbeitsprinzip her ähnlich aufbauen. Der „Nachteil“ der Leinwand, des Keilrahmens ist, daß das Format vorgegeben ist, bei den Papierarbeiten kann sich das Format ändern. Ich bearbeite das Papier mit Klebestreifen, wenn ich die abziehe, kann es passieren, daßman ein Stück Papier mit abzieht. Die Arbeiten wirken wie Fragmente, ausgerissen. Vielleicht noch etwas zur Technik. Die Farbe wird mit einem Pinsel aufgetragen und dann wieder abgezogen, mit saugfähigem Papier. Das macht die feine, kleinporige Struktur der Farboberfläche aus. Durch das Abziehen verteilt sich die Farbe sehr fein, der Pinselduktus wird gleichzeitig „verwischt“. Am Bildrand läuft die Farbe aus, dadurch, daß sie richtiggehend aufgedruckt ist Dadurch, daß sich dieser Vorgang auch bei den einzelnen Farbschichten wiederholt,verteilt sich die Farbe viel besser als durch Pinselauftrag. Die Fläche, auf die ich die Farbe auftrage, wird immer kleiner, die darunterliegende Fläche umrandet immer die darüberliegende, die letztlich nur noch Farbpfütze ist. An den Schnittstellen lassen sich dann regelrechte Stufen erkennen.
MM: Wie bist Du zu dieser Malerei gekommen?
HN: Zufällig. Ich wollte, mußte, auf Papier arbeiten, und habe das Papier mit Klebstreifen an der Staffelei befestigt. Nach dem Abziehen des Klebestreifens wurde die erste Schicht sichtbar und darauf aufbauend benutze ich heute Klebestreifen, um Schichten oder die Abfolge von Schichten sichtbar zu machen. Über diesen analytischen Ansatz glaube ich meinem Interesse an ungegenständlicher Malerei näher zu kommen. Ich habe immer schon ungegenständlich gemalt, was ja nicht gerade einfach ist, mein Interesse geht in diese Richtung.
MM: Würdest Du bei einer Beschreibung der Arbeitsvorgänge den Prozeß des Malens, von dem des Absaugens oder der Bearbeitung des Bildes mit Klebestreifen, trennen? Ist das Malen eher, plakativ formuliert, spontan und expressiv, wohingegen das Abtrocknen oder Abziehen des Klebestreifens eher ein konzeptioneller Eingriff ist, der das Malen kontrolliert oder in Form bringt?
HN: Nein, jeder Arbeitsvorgang ist gleichberechtigt. Das Ab kleben, das Auftragen der Farbe, sowie das Abziehen der Farbe, das ist durchaus spontan, vielleicht auch „expressiv“, regulieren kann man dann nur durch eine neue Schicht. Das heißt, erst nach einem kompletten Arbeitsgang präsentiert sich das Resultat, ist die Anschauung möglich.
MM: Sicher fällt in dem Zusammenhang Deiner Arbeiten der Name Graubner, hin und wieder.
HN: Sicher, diesen Vergleich kenne ich, das ist schon öfter gesagt worden, auch Rothko, was ich für unrealistisch halte, natürlich habe ich mich mit Graubner beschäftigt. Aber mich interessiert, wie sich der Raum aufbaut. Graubner entschlüsselt seinen Raum nicht, das würde bei ihm einiges zerstören, das würde seiner Intention wohl auch entgegenwirken. Ich will wissen, wie der Raum sich aufbaut, das ist vielleicht ein Unterschied.
MM: Deine Räume sind ja konstruiert, fast architektonisch aufgeschichtet.
HN: Ich habe bei Icke Winzer studiert und wenn ich sage, daß mich der Aufbau des Raumes interessiert und daß ich den Aufbau des Raumes sichtbar machen will, das erinnert vielleicht auch an analytische Malerei.
Durch diese Betonung des Raumes ist der malerische Effekt, etwa über starke Farbkontraste, unwichtig, im Gegenteil, meine Arbeiten sind in der Regel eher „ausgeglichen“. Starke Farbigkeit, ein grelles Bild, würden vom Eigentlichen nur ablenken. Ich wünsche mir schon, daß man ganz aus der Nähe erspüren will, wie meine Bilder gemacht sind, wie die Schichten, wie die Abfolge der Schichten angelegt ist.
Gespräch: Markus Müller mit Horst Noll, Frankkfurt am Main, 1988
Acryl-auf-Papier
100 x 200 cm
1987